Ukraine: Wir schaffen das?

Podiumsdiskussion Ukraine im Marie-Curie-Gymnasium.

(14. März 2022)

Wieder Krise, wieder Ausnahmezustand, wieder Bedrohung für Leib und Leben: Gerade Schülerinnen und Schüler benötigen Unterstützung dabei, die aktuellen Ereignisse in der Ukraine einzuordnen und damit umzugehen. Der Wirtschaftsbeirat der Stadt Hohen Neuendorf und das Marie-Curie-Gymnasium veranstalteten deshalb ein Podiumgespräch, in dem es vor allem um die Betroffenheit und die Auswirkungen des Krieges bei den Menschen sowohl in der Ukraine als auch hier ging. Als Gesprächsgäste waren geladen: Die Bundestagsabgeordneten Ariane Fäscher (SPD), Uwe Feiler (CDU) und Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Bürgermeister Steffen Apelt und der Schulleiter Gerald Miebs von der Deutschen Schule in Kiew. Dieter Wonka, Chefkorrespondent des Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) moderierte die Veranstaltung.

Schulleiter Gerald Miebs gab eine bedrückende Beschreibung der Situation in Kiew ab. „Meine Schulgemeinde ist über Nacht zerschlagen worden. Viele Schülerinnen und Schüler sowie Kollegen sind geflohen. Andere jedoch sitzen jetzt in Bunkern oder U-Bahn-Schächten.“ Es seien gerade die Familien mit erwachsenen Söhnen, die im Land bleiben wollen. Noch könne Gerald Miebs einen Online-Unterricht aufrechterhalten, das gebe den Jugendlichen das Gefühl von Beständigkeit. Jedoch: „Auch dabei passiert es häufig, dass Schülerinnen und Schüler bei Alarm plötzlich aufstehen und sich in Sicherheit bringen müssen.“ Überrascht habe ihn, dass die Menschen in der Ukraine im Vorfeld nicht an den Ausbruch einen größeren Krieges geglaubt hätten. Nach seiner Einschätzung seien sie seit der Krim-Annexion 2014 bereits gewöhnt gewesen an Kampfhandlungen und die aggressive Rhetorik des Kreml.

Politische Einigkeit auf allen Ebenen

Beim Blick auf Deutschland und die Reaktionen hierzulande auf die russische Aggression habe sich eine große Einigkeit offenbart, waren sich die drei geladenen Bundestagsabgeordneten einig. So begrüßte Ariane Fäscher ausdrücklich, dass parteipolitisches Denken in dieser Lage in den Hintergrund gerückt sei. Zudem werde das Regierungshandeln äußerst sorgfältig abgewogen, was ihr Vertrauen in die Regierung gefestigt habe. Uwe Feiler bekräftigte, dass dies eine Zeit sei, in der Regierung und Opposition zusammenstehen müssen. Michael Kellner lobte in dieser Hinsicht auch die anderen Mitgliedsstaaten der EU und deren gemeinsame Reaktion. „Jetzt geht es in erster Linie um humanitäre Hilfe“, so Kellner, der gehofft hatte, sich nach der Pandemie Zukunftsthemen wie die Energiewende widmen zu können.

Frieren für den Frieden?

Aber wie sieht es mit der langfristigen Geschlossenheit aus, wenn Bürgerinnen und Bürger die Auswirkungen von Krieg und Sanktionsregime zunehmend auch im eigenen Geldbeutel verspüren. Müssen die Menschen, dann „Frieren für den Frieden?“, wie es Ex-Bundespräsident Joachim Gauck zuspitzte? Uwe Feiler zählte eine Reihe von Instrumenten auf, die jetzt von der Regierung geprüft werden sollten, damit die solidarische Stimmung nicht kippt. Dazu zählen etwa eine Senkung der Mineralölsteuer und der CO2-Bepreisung sowie die Senkung von Steuern und Abgaben insgesamt. „Auch der derzeit angepeilte Kohleausstieg sollte verschoben werden“, so Feiler. 

Ariane Fäscher schilderte den Fall einer Mitarbeiterin im Lebensmitteleinzelhandel, die aktuell gezwungen sei, einen Kredit aufzunehmen, um die Spritkosten zu bezahlen. Fäscher befürwortet deshalb auch nicht einen Boykott russischen Öls und Gases: „Ich glaube, dann würde der soziale Frieden kippen.“ 

Michael Kellner nannte die sozialen Auswirkungen bereits jetzt schon gravierend. Mit dem Anstieg des Mindestlohns, einer Erhöhung der Pendlerpauschale und der Abschaffung der EEG-Umlage auf Strom seien aber bereits einige mildernde Maßnahmen beschlossen worden. Er beschrieb, dass es eher möglich sei, Öl und Steinkohle aus anderen Ländern, dann aber zu erhöhten Preisen, zu beziehen. Bei Gas sei das wesentlich schwieriger, da Gas an bestehende Leitungen gebunden und Flüssigkeit sehr kostenintensiv sei. „Falls unsere Industrie im nächsten Winter nicht genug Gas bekommt, bedeutet das einen Wohlstandsverlust“, beschrieb Kellner die drohenden Folgen.

Bürgermeister Steffen Apelt mahnte, dass es jetzt konkrete finanziell entlastende Maßnahmen für die Bürgerinnen und Bürger braucht: „Wenn die Leute frieren oder hungern, kippt die Solidarität.“ Als Verwaltungschef prüfe er beispielsweise, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die weite Strecken pendeln müssen, Heimarbeit anzubieten. 

Wir schaffen das?

Hinsichtlich der Frage, ob Deutschland erneut das Ankommen von vielen tausend Fliehenden stemmen könne, äußerte sich Apelt optimistisch. „Die Kommunen sind krisenerprobt und wie 2015 gibt es auch jetzt wieder eine enorme ehrenamtliche Unterstützung, zahlreiche Spendeninitiativen und Wohnungsangebote.“ Die Stadt selbst habe nur wenige Tage nach Kriegsausbruch einen Krisenstab etabliert, der die Koordinierung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und dem Krisenstab des Landkreises Oberhavel übernimmt. Zudem werde die Partnergemeinde Janów Podlaski in Polen aktiv mit Hilfsgütern unterstützt.