Der Mauerbau
Durchbruchsversuche unmöglich machen!
Es geschah am 17. August 1962 am Checkpoint Charlie in Berlin vor den Augen der Weltöffentlichkeit, und eines der Fotos, die damals gemacht wurden, ist zum Synonym für das mörderische Grenzsystem der DDR geworden. Ein lebloser Körper wird von Uniformierten weggeschleppt, es ist Peter Fechter, der da eine Stunde qualvoll verblutete und starb, dem medizinische Hilfe verweigert wurde. Einer der Grenzsoldaten schaut fassungslos zu den Fotografen und surrenden Kameras hinüber, was gerade geschah, kann er nicht verarbeiten. Zwischen den Tätern und den Zeugen dieses Vorganges steht seit dem 13. August 1961 eine Mauer, angeblich um den Frieden zu sichern, in Wahrheit aber sollen den Regierern die Regierten erhalten bleiben.
Die machten bis zur totalen Abriegelung an diesem 13. August 1961 eine Abstimmung mit den Füßen, verließen die DDR zu Tausenden, in manchen Monaten schwoll der Strom in der Größenordnung einer Kleinstadt an.Vierzig Jahre sind seit dem Beginn des Mauerbaus vergangen, in und um Berlin waren es rund 150 Kilometer und ein Stück davon verlief auch zwischen Bergfelde am Herthamoor und Hohen Neuendorf. Hier waren es: Florastraße, Gartenweg, Berliner Str., Adolfstr., Ludwigstr., Paulstr., Burghardstr., Feuerleinstr., Remanestr., Bodelschwinghstr., Scharfschwerdtstr. bis zur Stolper Str. und Parkstraße.
Die Grenze zwischen dem Umland und Berlin-West wurde schon viele Jahre zuvor immer rigoroser bewacht: 1948 - "Ring um Berlin" wird geschaffen; 1952 heißt es im Gesetzblatt der DDR: "Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR wird beauftragt, unverzüglich strenge Maßnahmen zu treffen für die Verstärkung der Bewachung der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen."; 1952 – Aktion "Ungeziefer" (Zwangsaussiedlung aus dem 5-km-Sperrgebiet); 31.01.1953 – Der Straßenübergang nach Frohnau wird geschlossen. .... und, und und.
Über die Sperrmaßnahmen im August 1961 berichtet die Ortsparteileitung:
". . . Weiterhin wurde ein Beschluß gefaßt, mit dem Grenzgängerproblem bis Ende August 1961 abzuschliessen. Hierzu wurden eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, u.a. wurden 7 Aktivs gegründet, die zielstrebig mit den Grenzgängern Aussprachen führten. Am 7.8.61 wurde eine außerordentliche Parteiaktivtagung durchgeführt. Auf dieser Tagung wurde ein Beschluß gefaßt zur Sicherung des Ortes Hohen Neuendorf. Hierzu wurden besondere Maßnahmen eingeleitet. Bei besonderen Vorkommnissen im Ort (Provokationen des Gegners) stehen sofort die 20
Genossen, die im Einsatzstab sind, einsatzbereit, die von der Ortsparteileitung alarmiert werden. Der Werkleiter des VBB Elmed, Genosse Lohse, erhielt den Auftrag, sofort eine Kampfgruppe im Betrieb aufzustellen. Dieser Auftrag wurde erfüllt. Die BPO-Sekretäre Elmed, Mebak, Konsum, Krankenhaus, Schulen, wurden verpflichtet, unverzüglich die Bildung von Betriebs-Komitees gegen den Menschenhandel vorzunehmen.
Dieses wurde von den Betrieben und Institutionen erfüllt. In der Nacht des 13.8.61 bei der Auslösung des Alarms um 2 Uhr waren unsere Genossen sehr schnell einsatzbereit. So ist es uns gelungen, um 3 Uhr die Schwerpunkte in unserem Ort zu besetzen. Bei der Durchsetzung der Maßnahmen, die die Regierung beschlossen hat zur Schließung der Grenzen sowie zur Lösung des Grenzgänger-Problems und zur Ergreifung der Maßnahmen zur Umsiedlung von negativen Elementen aus dem Grenzgebiet in das Hinterland führten die Genossen diese Arbeiten gewissenhaft durch."
Arbeitsbericht der Ortsparteileitung
Hohen Neuendorf, 16.12.1961
Welche "negativen Elemente" umgesiedelt werden sollen, wird in der Außerordentlichen Ratssitzung vom 27.08.1961 festgehalten und auch die Begründung gleich mitgeliefert. ... wohnt innerhalb der 100-m-Grenze, Verdacht auf Republikflucht und Kontaktaufnahme mit der westlichen Seite, unmittelbares Grenzgebiet (Berl. Str. 1 und 2), die Familie ist Angehöriger einer Sekte, Beschwerden des Sowjetischen Kommandanten, Verbindungsaufnahme zu sowjetischen Soldaten. Die Schwere des Vorwurfes bestimmte den neuen Wohnort: "Umsetzung innerhalb des Ortes", "Umsetzung innerhalb des Kreises" und "Umsiedlung außerhalb des Kreises" hieß es. Es sind nicht die letzten Ausweisungen: Im Frühjahr 1962 "erfolgen unter Aufsicht der Grenzpolizei und des Rates der Gemeinde" weitere. Stolz wird festgehalten: "Es sind alle Wohnungen geräumt bis auf kleine Reste (Eingemachtes und Most). Ebenso hängt noch Wäsche zum Trocknen auf dem Boden." Und damit alles seine Ordnung hat, heißt es zum Schluß: "In allen Häusern wurde das Wasser aus den Leitungen gelassen und die Gashähne verschlossen."
Maueropfer: Marienetta Jirkowsky (25.08.1962 – 22.11.1980)
"Nach wie vor muß bei Grenzdurchbruchsversuchen von der Schusswaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden, und es sind die Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, zu belobigen.", äußerte sich Erich Honecker 1974 in einem NVA-Zirkel. Danach handelten die Grenzposten, die in den Morgenstunden des 22. November 1980 auf Marienetta Jirkowsky feuerten und sie tödlich trafen. Der Fluchtversuch spielte sich in der Hohen Neuendorfer Florastraße ab. Marienetta Jirkowsky wollte mit zwei weiteren Personen die Grenzanlagen überwinden. Während den beiden jungen Männern die Flucht gelang, starb sie im Laufe des Vormittags im Hennigsdorfer Krankenhaus.
Im Protokoll der Sicherheitsberatung des Rates der Gemeinde vom 9.12.1980 ist lapidar zu lesen: "Am 22.11.80 erfolgte ein Durchbruch von 2 männl. Bürgern."! Berichterstatter war ein Major Sauer vom Grenzregiment 38, Standort Hennigsdorf, der den Todesfall nicht für erwähnenswert hielt. Noch einmal wird auf die nächtlichen Ereignisse zum 22. November 1980 Bezug genommen. Im Protokoll der Sicherheitsberatung vom 23.12.1980 ist zu lesen: "Es gab allerdings am Sonnabend, dem 20.12.1980, eine Provokation von Berlin-West aus, auf Grund des Grenzdurchbruches, der am 22.11.80 erfolgte. Es wurde in Höhe des Bahndammes von Berlin-West aus ein Holzkreuz errichtet." Auch hier war der Berichterstatter Major Sauer.
Die Mauer zerbrach nach 28 Jahren. Der Wunsch Erich Honeckers, dass die Mauer noch nach 100 Jahre stehen würde, blieb unerfüllt. Die Regierten machten mit dem Ruf "Wir sind das Volk" wieder eine Abstimmung mit den Füßen und fegten das eingemauerte sozialistische Paradies hinweg.
Eine Tafel erinnert seit dem 9. November 1995 auf dem Hof des Kinderheimes in der Stolper Straße, Hohen Neuendorf, an den Mauerfall. Auch an den Beginn des Mauerbaus und an die Opfer sollte erinnert werden!
Text: Jürgen Radtke, Fotos: Franz Noerling, Repro: "Volksarmee" (1966)