Berliner Bibliotheken im Nationalsozialismus

Gut besuchte Vernissage nähert sich Thema "Bücherverbrennung" von anderer Seite

(14.05.2019)  Mehr als 45 Besucher waren zu Gast bei der Ausstellungseröffnung „Berliner Bibliotheken im Nationalsozialismus“ im Hohen Neuendorfer Rathaus. Nach einem 45-minütigen Konzert der Gruppe „Manifest“ erläuterte Monika Sommerer, Mitinitiatorin der Ausstellung, anschließend die einzelnen Tafeln.

„Wir wollten etwas machen, das es so noch nicht gegeben hat“, begründete Monika Sommerer, Mitarbeiterin im Haus der Wannsee-Konferenz, die Idee zur Ausstellung. Anlässlich des 85. Jahrestages der Bücherverbrennung nahm die Gedenkstätte die Frage in den Fokus, wie Berliner Bibliotheken mit den von den Nazis verbotenen Büchern und Autoren umgingen, welche Spielräume und Handlungsalternativen es gab und woher die Bücher, die am 10.5.1933 auf dem Berliner Opernplatz (heutiger Bebelplatz) verbrannt wurden, eigentlich kamen.

Sieben Berliner Bibliotheken im Fokus

So stand die Preußische Staatsbibliothek im Zentrum eines Netzwerkes zur Verteilung der von Juden beschlagnahmten Bücher. Etwa 20.000 Bücher ergänzte sie im eigenen Bestand, den Großteil verteilte sie an weitere 30 Bibliotheken in Deutschland und Österreich.

Auch die Berliner Stadtbibliothek profitierte von der Verfolgung und Enteignung religiöser und politischer Minderheiten. 1943 kaufte sie der Städtischen Pfandleiheanstalt, wohin die von Juden enteigneten Bücher verbracht wurden, 40.000 Bücher für 45.000 Reichsmark ab. Davon wurden bis Kriegsende 1.000 Bücher eingearbeitet (mit „J“ markiert), nach 1945 erfolgte die Einarbeitung in den eigenen Bestand ohne besondere Kennzeichnung.

Die 1919 als Ort der Forschung und Aufklärung eröffnete Bibliothek des Instituts für Sexualwissenschaft erhielt die zu ihrer Zeit größte und vollständigste Sammlung sexualwissenschaftlicher Fachliteratur. Als schwuler Sozialdemokrat jüdischer Herkunft war Bibliotheksleiter Dr. med. Magnus Hirschfeld für die Nazis eine besondere Hassfigur. Am 6. Mai 1933 plünderten Studenten der Hochschule für Leibesübungen die Bibliothek. Ein großer Teil der Bücher aus diesem Bestand wurde vier Tage später auf dem Opernplatz verbrannt.

Die Städtische Volksbücherei in Neukölln wurde nach Beurlaubung der sozialdemokratischen Leiterin Dr. Helene Nathan 1933 unter einer neuen Leiterin umorganisiert. Die aussortierten Bücher wurden während des Kriegs gesperrt und nach 1945 unversehrt wieder in Ausleihbestand übernommen.

Die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wurde nach der Pogromnacht 1938 geschlossen und deren Komplettbestand beschlagnahmt.

Für wissenschaftliche Bibliotheken wie die der Friedrich-Wilhelm-Universität (heutige Humboldt-Bibliothek) wurde 1933 eine Vorschrift erlassen, wonach eine Beschlagnahme oder Vernichtung jüdischer oder marxistischer Literatur nicht in Frage käme. Diese Bücher wurden unter Verschluss gehalten und ihre Nutzung ausschließlich für „ernste wissenschaftliche Forschungsarbeit“ kontrolliert freigegeben.

Die beim Volk beliebten Gewerblichen Leihbibliotheken wurden von den Volksbibliotheken nicht gerne gesehen. Auch deshalb biederten sich die Leihbibliotheken den Nazis besonders an und wurden von diesen gerne zur Verbreitung von Kriegspropaganda genutzt. Nur 1,5 Prozent der Bücher mussten 1934 aussortiert werden, alle anderen unterwünschten Werke waren bereits in vorauseilendem Gehorsam entfernt worden.

Bibliothekare an „Schwarzen Listen“ beteiligt

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erfolgte sukzessive die Schließung jüdischer und politisch unliebsamer Bibliotheken, deren Bestände wurden beschlagnahmt. Allein in Berlin verloren 44 Bibliothekarinnen und Bibliothekare aus 18 Einrichtungen ihre Anstellung. Ein großer Teil der Bibliotheken offenbarte eine Anpassungs- und Kooperationsbereitschaft mit dem neuen Regime.

Nicht zuletzt waren es Bibliothekare, die maßgeblich an der Erstellung der „Schwarzen Listen‘ arbeiteten, welche die Grundlage für die Indizierung unerwünschter Schriften bildeten. Erst im Ergebnis der Washingtoner Erklärung von 1988, einer weltweiten Übereinkunft zur Identifizierung NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, begann eine systematische Auseinandersetzung mit der Geschichte enteigneter Bücher in den Bibliotheken.

Auch Bücherdetektive besuchten Ausstellung

„Mit der Ausstellung wollen wir Denkansätze geben“, resümierte Hohen Neuendorfs Erster Beigeordneter Alexander Tönnies zur Ausstellungseröffnung am 10. Mai. Er dankte der AG Brot und Salz vom Kulturkreis, maßgeblich Andreas Schuckert, die die Ausstellung nach Hohen Neuendorf holte. Bereits am Vormittag hatte Dieter Morisse, Kulturkreismitglied und Leiter der AG Buchclub an der Grundschule Bergfelde, mit den „Bergfelder Bücherdetektiven“ die Ausstellung besucht. Diese ist noch bis zum 31. Mai zu den allgemeinen Öffnungszeiten im Ratssaal zu sehen.