In achteinhalb Minuten 400 Kilometer ins Weltall
(29.03.2018) Zwei Weltraumflüge absolvierte Hans Schlegel zwischen 1993 und 2008. Dass er jemals Astronaut werden würde, habe er „nicht zu erträumen“ gewagt, obwohl er als Zehnjähriger mit großem Interesse den ersten Weltraumflug des Russen Juri Gagarin verfolgte. Doch die Raumfahrt war zu dieser Zeit den Russen und Amerikanern vorbehalten.
1986 jedoch erfolgte ein öffentlicher Aufruf der damaligen Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR, heute DLR) für den zweiten deutschen Spacelab-Flug (D-2). Der gelernte Experimentalphysiker Hans Schlegel bewarb sich, mit 35 Jahren an der Altershöchstgrenze, und wurde aus 1.800 Bewerbern in mehreren Auswahlverfahren als einer von fünf Anwärtern in das Programm aufgenommen.
Zwei Flüge in den Weltraum
Es folgte eine jahrelange Ausbildung, bis Schlegel im Jahr 1993 tatsächlich als Teil einer siebenköpfigen europäisch-amerikanischen Mannschaft im Rahmen der Spacelac-Mission D-2 ins Weltall fliegen durfte. Während des zehntägigen Aufenthalts führte die Crew im Schichtbetrieb 89 verschiedene wissenschaftliche Experimente aus den Bereichen Lebenswissenschaften, Materialforschung, Technologie, Erderkundung, Astronomie und Atmosphärenphysik durch.
Zwischen 1995 und 1998 arbeitete Hans Schlegel im Rahmen einer deutsch-russischen Vereinbarung in der Ersatzcrew für die Mission MIR '97 und unterstützte die Experimente von der Bodenstation aus. Zu seinen Mentoren zählte in dieser Zeit Sigmund Jähn.
Und auch nach dieser Mission wollte Schlegel weiter für die Europäische Weltraumorganisation (ESA) arbeiten. Diese schickte ihn 1998 nach Houston, wo er nach einer Ausbildung zum Missionsspezialisten für die NASA tätig war. 2008 durfte Schlegel schließlich seinen zweiten Weltraumflug absolvieren. Mit fünf Kollegen flog er im Rahmen der Shuttle-Mission STS-122 für 13 Tage ins Weltall. Um das europäische Raumlabor Columbus an die ISS-Raumstation anzukoppeln, führte der Astronaut einen fast siebenstündigen Außenbordeinsatz durch.
Astronaut hält exklusiven Dia-Vortrag in Hohen Neuendorf
Von seinen Erlebnissen und Eindrücken als Astronaut berichtete Hans Schlegel am 28. März in einem exklusiven Dia-Vortrag in Hohen Neuendorf vor 100 Zuhörern. Die Vorbereitung auf eine Mission, bei der jeder Teilnehmer für eine bestimmte Aufgabe speziell geschult wird, die Starts mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Sekunde, die Ankunft im Weltraum nach achteinhalb Minuten 400 Kilometer von der Erde entfernt, das Gefühl der Schwerelosigkeit, in dem es „kein Oben und Unten“ gibt, der Blick von oben auf den „weiß-blauen-Planeten“ und „die Schwärze des Weltalls“ auf der anderen Seite sowie die vielen Herausforderungen in der neuen Umgebung… So muss an Bord einer Station alles, was nicht herumfliegen darf, eingesaugt oder fixiert werden. Das betrifft zur Seite gelegte Arbeitsgegenstände ebenso wie die Haare während einer Saugrasur. Um Kraft ausüben zu können, zum Beispiel beim Eindrehen einer Schraube, muss sich der Astronaut selbst fixieren. Ein Ortswechsel ist genau zu planen, da eine Richtungsänderung im Vakuum nach Abstoßen des eigenen Körpers nicht mehr möglich ist. Zu Beginn sind daher für alle Arbeiten auch 30 Prozent mehr Zeit eingeplant. Eine Schlafkabine, der einzige Ort mit Privatsphäre, ist lediglich 200 mal 85 mal 42 Zentimeter groß. Essen und Trinken ist nur mittels Strohhalmen möglich. Und vom kleinen Toilettengeschäft werden 80 Prozent zu Trinkwasser aufbereitet.
Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den Körper
Interessant waren auch die Schilderungen des Experimentalphysikers zu den Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper. Während die Obermuskulatur gut beansprucht wird, verkümmere die Beinmuskulatur. Um negative Auswirkungen auf die Pumpleistung des Herzens zu verhindern, stehe jeden Tag für jeden Astronauten ein zweieinhalbstündiges Kraft- und Ausdauertraining auf dem Programm. Auch die Stabilität des Skeletts wird im Vakuum nicht benötigt, weshalb es zu einem Knochendichteverlust komme, der an Osteoporose erinnere. Bei Aufenthalten ab sechs Wochen im All verändere sich auch das Sehvermögen, so dass betroffene Astronauten nach ihrer Rückkehr auf die Erde eine Brille benötigten. Zurückgekehrte Weltraumforscher hätten zudem erst einmal mit Gleichgewichtsstörungen „wie ein junger Hund“ zu kämpfen, da der Innenohrdruck durch das Vakuum beeinträchtig sei.
Fragen aus dem Publikum
Mit einem kleinen Film, der beeindruckenden Aufnahmen aus dem Weltraum zeigte, schloss Hans Schlegel seinen rund anderthalbstündigen Vortrag. Anschließend hatten die Zuhörer Gelegenheit, Fragen zu stellen, wovon diese reichlich Gebrauch machten.
Ob er bei seinen Flügen Angst gehabt habe, wollte ein Zuhörer wissen. „Kontrollierte Angst“ und Respekt sei immer mit dabei, so Schlegel. Die Missionsteilnehmer seien auf ihre Aufgaben und verschiedenste Notfallsituationen vorbereitet. Aber es könne immer etwas passieren, wie beim Unglück am 16. Januar 2003, als die Space Shuttle Columbia beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre wegen eines kaputten Isolierschaums am Außentank Feuer fing und auseinanderbrach. Alle sieben Kollegen und Freunde Schlegels kamen dabei ums Leben. Auch dass man bei so einem Flug auf 2.000 Tonnen Treibstoff sitzt, sei sicherlich nicht ungefährlich. Eine Gefahr stelle auch die erhöhte Strahlenbelastung dar, weshalb bei amerikanischen Missionen die Einsatzdauer auf maximal anderthalb Jahre begrenzt werde.
Der kommerziellen Raumfahrt stehe er „sehr skeptisch“ gegenüber, beantwortete Schlegel eine andere Frage, sieht aber auch „ein riesiges Potenzial“, wenn mit „einem Viertel des Geldes das Doppelte erreicht“ wird.
Eintrag ins Ehrenbuch der Stadt
Insgesamt kann Hans Schlegel auf eine 30-jährige Astronautenzeit zurückblicken. Seit 20 Jahren lebt er mit seiner Frau Heike Walpot in Houston (Texas). Sie ist die Schwester eines Mitarbeiters aus der Stadtverwaltung Hohen Neuendorf, über den der Kontakt und die Gelegenheit für den Vortrag zustande kamen. Vor vier Jahren schied Schlegel bei der ESA aus. Seit letztem Jahr gilt der 66-Jährige nach deutscher Lesart als Rentner, arbeitet aber immer noch mit seiner eigenen Firma als Berater und unterstützt als Mentor den Astronautennachwuchs wie zum Beispiel Alexander Gerst.
Als Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen für die Raumfahrt und zum Dank für seinen Besuch durfte sich Hans Schlegel in das Ehrenbuch der Stadt Hohen Neuendorf eintragen. Darüber zeigte sich Bürgermeister Steffen Apelt sehr stolz, auch wenn er als bekennender „Trecki“ an diesem Abend leider doch nicht erfuhr, „wie die Krümmung des Raumes zustande kommt und was vor dem Urknall war“.