Apelt im MAZ-Interview: "Kein ewiges Wachstum"

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(4 März 2022) Die Märkische Allgemeine Zeitung stellt der Stadt freundlicherweise ein Interview zur Verfügung, das der Lokaljournalist Helge Treichel in der vergangenen Woche mit Bürgermeister Steffen Apelt geführt hat:

Bürgermeister Steffen Apelt (CDU) bilanziert im MAZ-Interview das Zusammenwachsen der vier Stadtteile und zeigt die Entwicklungsperspektiven auf – auch mit Blick auf die Nachbargemeinde Birkenwerder.

Hohen Neuendorf. Zum 6. Dezember 1993 fusionierten die Nachbargemeinden Bergfelde und Borgsdorf mit Hohen Neuendorf. Die Einwohner von Birkenwerder stimmten in einer Volksbefragung gegen eine Fusion. Die Gemeinde Stolpe wurde mit Wirkung vom 26. Oktober 2003 in die Stadt eingemeindet. Im Jahr 1999 wurde Hohen Neuendorf das Stadtrecht verliehen. Vor diesem Hintergrund gab Bürgermeister Steffen Apelt (CDU) der MAZ ein Interview.

Herr Apelt, wie gut sind die Stadtteile aus Ihrer Sicht inzwischen zusammengewachsen?

Steffen Apelt: Das Zusammenwachsen ist für mich in vielen Punkten sehr gut gelungen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die einzelnen Ortsteile viele ihrer Aufgaben alleine hätten gar nicht stemmen können. Ein sehr gutes Beispiel ist Borgsdorf mit seiner Entwicklungsmaßnahme, in deren Zuge die alten Anlagen der ehemaligen Großgärtnerei beräumt und die Wohngrundstücke baureif gemacht wurden. Das ist ein Mammutprojekt gewesen. Das hätte das kleine Borgsdorf – und das meine ich nicht despektierlich – alleine nicht stemmen können. Genau das gleiche mit den Feuerwehren: Die Ausstattung unserer drei Ortsteilfeuerwehren funktioniert auch nur deshalb so gut, weil es eben eine gemeinsame Stadt ist. Das hat auch schlichtweg einfach mit Finanzen zu tun.

Und die Menschen?

Was ich immer wieder in Gesprächen erfahre: Natürlich bleibt trotzdem die Verbundenheit mit dem eigenen Ortsteil auch erhalten. Und das soll auch so sein. Ich finde auch wichtig, dass die Leute zu ihrem Ortsteil, zu ihrem Kiez eine besondere Bindung haben. Deshalb ist das eine: Stärken stärken. Aber dabei wollen wir die Ortsteilspezifik nicht außer Acht lassen und überhaupt nicht dagegen argumentieren. Ich finde Identifikation wichtig.

Auf Ortsbeiräte wurde trotzdem verzichtet. Warum?

Das Allerwichtigste, was seinerzeit erreicht wurde, ist die Tatsache, dass wir keine Ortsteilgremien haben. Sondern es gibt eine Stadtverordnetenversammlung, in der – je nach Wahlergebnis natürlich – aus den Ortsteilen Stadtverordnete vertreten sind. Das ist deshalb gut, weil wir uns nicht zu sehr in der Ortsteilspezifik festfahren. Sondern wir haben ein ganz demokratisches Abwägen von Befindlichkeiten, Wünschen, Forderungen, auf dessen Grundlage die Entscheidungen in der Stadtverordnetenversammlung gefällt werden.

Wo ist das Zusammenwachsen besonders gut gelungen – und wo sehen Sie noch Defizite?

Schulbezirk! Wir haben einen gemeinsamen Schulbezirk. Das ist wichtig für Situationen, in denen es vielleicht in einem Stadtteil mal eng wird. Dann können wir auf andere Schulen zugreifen, wenn dort Plätze frei sind. Auch wenn es den Eltern nach dem Motto kurze Beine, kurze Wege vielleicht hier und da nicht angenehm ist. Aber wir müssen niemanden wegschicken. Wir können jedem in dieser wachsenden Stadt immer einen Schulplatz anbieten – jedenfalls in unserem Verantwortungsbereich, den Grundschulen und der Oberschule. Das gleiche gilt für die Kindertagesstätten.

Was tut die Stadt denn, um Identifikation zu stärken?

Um das Gefühl dieser gemeinsamen Stadt weiter zu stärken, veranstalten wir zum Beispiel rotierende Stadtgespräche. Ich als Bürgermeister und auch wir als Verwaltung sind sehr bemüht, wirklich in jeden Ortsteil zu gehen, mindestens einmal im Jahr, und vor Ort präsent zu sein, um zu lokalen Themen Diskussionen abzuhalten. Auch die Vereine wechseln zwischen den Sportanlagen der Orsteile hin und her. Das sind alles Vorteile dieser gemeinsamen Stadt.

Und gibt es auch noch Verbesserungsbedarf an einer Stelle?

Ja. Wenn wir unsere Investitionsliste auflegen, kommt von der Politik immer wieder die Frage, warum kommt Borgsdorf mit der Schulerweiterung erst 2025 dran. Das kann ich verstehen. Wir haben aber zurzeit den Zuzug in Bergfelde und werden zunächst die Ahorngrundschule erweitern müssen. Dadurch entsteht mitunter das Gefühl, abgehangen zu sein, was aber nicht zutreffend ist. Außerdem müssen wir mit den personellen und finanziellen Ressourcen klarkommen. Ich würde mir auch manches schneller wünschen, aber das geht eben nicht.

Ohne Zuzug von neuen Einwohnern würde Hohen Neuendorf altern

Ist Stolpe auch so ein Beispiel?

Nein, eigentlich nicht. Wir hören wenig Kritik und Diskussion aus Stolpe. Wichtig ist dort: Wir wollen diesen Dorfcharakter unbedingt erhalten.

An welchen Stellen sehen Sie die Entwicklungsschwerpunkte und Entwicklungschancen der nächsten Jahre?

Hohen Neuendorf ist kein Industriestandort wie Hennigsdorf oder Oranienburg und generiert deshalb einen Großteil seiner Einnahmen aus der Einwohnerschaft. Die Entwicklungschancen gehen natürlich einher mit einer weiter zunehmenden Bevölkerungsentwicklung. Ohne diese Entwicklung sind wir eine schrumpfende, alternde Stadt, so wie alle anderen Kommunen in Deutschland auch. Deshalb ist der Bevölkerungszuwachs nicht nur aus finanziellen Gründen zu befürworten, sondern auch aus sozialen Gründen heraus. Denn es ziehen zu uns nach wie vor junge, gut ausgebildete Familien, was für die soziale Durchmischung sehr gut ist. Das sind für mich Chancen – auch aus finanzieller Sicht, denn wir leisten uns sehr viel auch im freiwilligen Bereich. Das können wir uns nur leisten, wenn wir kontinuierliche Einnahmen haben.

Was sind denn Beispiele für solche freiwilligen Aufgaben?

Nehmen Sie zum Beispiel unsere Sportanlage in Bergfelde. Es gibt den Wunsch einer Fraktion, der durch einen Beschluss untermauert wurde, die Verwaltung möge prüfen, ob das Errichten eines Freibades möglich wäre. Die Frage der Sportanlagen, der Vereinsförderung, der Jugendarbeit – das sind alles freiwillig Leistungen, die wir gerne erbringen. Die aber nur möglich sind, weil wir uns das nicht nur leisten wollen, sondern auch können.

Wohnungsbau ist Entwicklungsschwerpunkt

Wie lange soll das so weitergehen mit dem Wachstum?

Es kann natürlich kein ewiges Wachstum geben. Denn Wachstum geht ja einher mit Wohnraumbeschaffung. Und dazu sind natürlich die entsprechenden Grundflächen notwendig. Und da sind wir bei den Entwicklungsschwerpunkten. Der Entwicklungsschwerpunkt der Stadt Hohen Neuendorf ist sicherlich der Wohnungsbau. Und hier insbesondere, das sage ich ganz bewusst, der kommunale und sozial geförderte Wohnungsbau. Dafür haben wir ja eine sogenannte wohnungspolitische Umsetzungsstrategie entwickelt – und daraus wiederum sogenannte Wohnvorranggebiete. Denn nur in diesen Wohnvorranggebieten kann man sozial geförderten Wohnungsbau durchführen. Das ist einer der zentralen Entwicklungsschwerpunkte – insbesondere im Ortsteil Hohen Neuendorf. Denn durch unsere städtebauliche Entwicklungsmaßnahme haben wir hier die Flächen, insgesamt 35 Hektar. Davon sind ungefähr ein Drittel kommunale Flächen. Auf diesen wollen wir über unseren kommunalen Eigenbetrieb Wohnungswirtschaft kommunalen und sozial geförderten Wohnraum schaffen. Es geht hier um 200 Wohnungen.

Dabei gibt es allerdings Kollisionen mit anderen Interessen, zum Beispiel mit denen der Kleingartennutzer „Am Feld“. Wie kann dieser Konflikt aus Sicht der Stadtverwaltung überwunden werden?

Das ist uns bewusst und das ist seit 2016 bekannt, auch der Politik. Ich bin zunächst froh darüber, dass die Mehrheit der Stadtverordneten am vergangenen Donnerstag zu den bisher gefassten Beschlüssen hinsichtlich der Wohnraumentwicklung gestanden hat und der Petition zum Erhalt der Kleingartenanlage nicht gefolgt wurde. Denn die Umsetzung ist nur an dieser Stelle möglich, nämlich auf kommunalem Grund und Boden. Wir haben sicherlich viele Privatinvestoren, die ebenfalls Wohnungen schaffen. Aber zu höheren Preisen, die für viele Einwohnerinnen und Einwohner nicht mehr darstellbar sind. Wir müssen aufpassen, dass für uns wichtigen Menschen bei der Feuerwehr oder im Einzelhandel nicht einfach wegziehen. Deshalb ist dieser kommunale Wohnungsbau so wichtig.

Bürgermeister kann die Ängste nachvollziehen

Was bedeutet das für die Kleingärtner?

Eins möchte ich klarstellen: Wir werden nicht am 1. März damit anfangen, die Flächen beräumen zu lassen. Sondern wir werden das Ergebnis des Gerichtsverfahrens abwarten. Dann werden wir uns neu überlegen, wie wir damit umgehen werden.

Und was passiert mit der Himmelspagode?

Im Zuge der Entwicklungsmaßnahme führen wir Eigentümergespräche. Das betrifft auch den Eigentümer der Pagode. Er hat Interesse bekundet, auf seiner privaten Fläche Wohnungsbau umzusetzen.

Welche Rolle spielt eigentlich die Gemeinde Birkenwerder in den Überlegungen zur Perspektive?

Es geht damit die Frage einher: Wie stehen Sie zu einem möglichen Zusammenschluss. Ich halte es nach wie vor für zielführend – aus verschiedensten Gründen. Es würde bei einer Zusammenlegung nur Vorteile, nur Gewinner geben. Aber das ist allgemein bekannt und kommuniziert. Deshalb es das für mich nicht tagesaktuell, das möchte ich deutlich sagen. Wir arbeiten aber in vielen Punkten hervorragend mit Birkenwerder zusammen.

Wie bewerten Sie die 14-täglichen Freitagsproteste auf dem Rathausplatz in Hohen Neuendorf?

Es gibt ein Demonstrationsrecht in Deutschland. Das ist ein sehr hohes Gut. Man sollte und darf niemandem absprechen, für seinen Standpunkt auch zu demonstrieren. So weit mir bekannt ist, verlaufen diese Demonstrationen sehr friedlich. Von dieser Warte aus habe ich damit auch kein Problem. Ich kann auch einen Großteil der Bedenken, die dort geäußert werden, absolut nachvollziehen, wenn ich mir Gastronomen, Veranstalter, Künstler vor Augen führe – also alle, die nach zweieinhalb Jahren Corona zum Teil in ihrer Existenz bedroht sind. Eines möchte ich dabei unbedingt mit anmerken. Wichtig ist, dass es friedlich bleibt und dass sie nicht unterwandert werden. Die Tendenzen hat man ja in anderen Teilen der Republik. Ich denke da an Cottbus. Das ist natürlich schade. Da sollten und müssen sich die Leute, die da mitgehen, auch distanzieren.

Sehen Sie eine diesbezügliche Verantwortung bei der Kommunalpolitik, sich auf Diskussionen einzulassen?

Ja, warum nicht. Gerade die Kommunalpolitik soll immer vor Ort mit den Menschen reden, um eben zu verstehen, warum, wieso, weshalb ein großer Teil der Menschen auf die Straße geht. Ich finde das wichtig und richtig.

Wie hat sich bislang die Inanspruchnahme der zweiten Auflage des kommunalen Rettungsschirms entwickelt?

Bescheiden. Wir haben bisher zwei Anträge. Davon ist einer genehmigt worden.

 

Von Helge Treichel