Das Krankenhaus

Erinnerungen an die Gründungszeit

Der Geschichtskreis im Hohen Neuendorfer Kulturkreis hatte bereits vor einiger Zeit angekündigt, Ergebnisse seiner Tätigkeit an die Öffentlichkeit zu bringen: Jetzt ist es so weit. Helmut Griep und Elisabeth Schlickeiser, die aktiv dabei waren, als 1945 das Krankenhaus Hohen Neuendorf eingerichtet wurde, schrieben ihre Erinnerungen auf. Ihr Bericht war schon Gegenstand interessanter Gespräche in unserem Kreis. Heute legen wir ihn den Lesern der Nordbahn-Nachrichten vor. Wir würden uns freuen, wenn er Interesse wecken und vielleicht auch die eine oder andere Leserin, den einen oder andern Leser anregen könnte, eigene Gedanken zu dieser Zeit zu Papier zu bringen oder auch im Geschichtskreis einfach zu erzählen. Wir treffen uns jeden dritten Mittwoch im Monat um 17 Uhr in der Stadtbibliothek Hohen Neuendorf, Berliner Straße. Interessenten sind immer willkommen.

Vom Geschichtskreis sind weitere Publikationen zu erwarten. Zu den Anfängen des Hohen Neuendorfer Krankenhauses stellte uns Dorothea Breuser, die heute in Hessen lebt und deren Mutter Charlotte Burkart eine wichtige Rolle bei der Einrichtung des Krankenhauses spielte, ihren Bericht und interessante Photographien zur Verfügung. Davon wird Einiges demnächst in die Nordbahn-Nachrichten kommen.

Die ersten Tage

Als Kriegfolge nahm im Mai 1945 die Zahl der Typhus-, Ruhr- und Geschlechtskranken sehr schnell zu. Ende Mai 1945 hat die SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) einen Befehl herausgegeben, dass im Hohen Neuendorfer Objekt Jugendherberge ein Krankenhaus einzurichten ist. Zur Durchführung dieser Maßnahme wurden der damalige Kreisarzt Dr. Fox und der Gesundheitsdezernent Zahnarzt Großkopf eingesetzt.

Die ersten Angestellten

Die ersten Angestellten waren: Sanitätsrat Dr. Eich, Dr. Neumann, Frau Dr. Mannert, Dr. Mertens, Frau Dr. Wittfoth, Oberschwester Gertrud Mellin, Frau Schlickeiser für das Labor, Frau Fuhlboom, Frau Mohr und für die Wäscherei Frau Burkart.
Das medizinische Personal bestand aus den Krankenpflegern Heinz Albrecht als Oberpfleger - er hat die erste Köchin des Krankenhauses geheiratet und war später zweiter Vorsitzender beim DRK des Kreises - sowie Bruno Dannenberg, Willi Gehrke und Hilfspfleger Helmut Griep. Die Dauernachtschwester Frau Anna Rateike hat uns, die zur Nacht eingeteilt waren, immer schlafen lassen, sie war eine Seele von Mensch. Die angestellte Masseurin war Frau Fuhlboom. Für die Anmeldung war Frl. Cornelius zuständig.

Der Anfang

Die Jugendherberge wurde unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee als Unterkunft einer berittenen Gespanneinheit genutzt. Im unteren Bereich hatte man Pferde eingestellt, entsprechend sahen alle Räume aus.
Den Anblick des verwüsteten Gebäudes kann sich heute niemand mehr vorstellen. Also wurde zuerst tagelang gereinigt, dann mussten Betten beschafft werden. Nach dem Einmarsch der Roten Armee war die Jugendherberge von den Anwohnern ausgeräumt worden. Betten, Wäsche, Tischtücher und alles Wertvolle wanderten in die Haushalte in der näheren Umgebung. Also war nichts mehr vorhanden.
Bettwäsche, Tisch- und Geschirrtücher beschafften die ersten Angestellten des Krankenhauses aus verlassenen Wohnungen ehemaliger Nazis.

Das Luftwaffenlazarett Frohnau, Hubertusweg

Der Krieg war zu Ende, ein neuer Anfang war notwendig, aber es fehlte an allem. Das Luftwaffenlazarett Frohnau befand sich 1945 noch im Bau, einige Krankenhausausrüstungen waren aber schon eingelagert. Es gab keine offizielle Weisung, dort nach medizinischem Material zu suchen. Aber wir waren uns alle bewusst, wir wollen ein Krankenhaus schaffen und den Menschen helfen.
Mit Pferdegespann und Rote-Kreuz-Armbinden versehen sind wir hingefahren. Alles was krankenhausmäßig aussah wurde aufgeladen. Wir sind mehrmals hingefahren und entdeckten - welch ein glücklicher Umstand - alle Teile für ein Röntgengerät. Herr Bader, der dann aus Dresden von Fa. TUR kam, war ein findiger Ingenieur, der die Technik zum ersten Röntgengerät für das Hohen Neuendorfer Krankenhaus ca. 1947 zusammenbaute und nutzbar machte.
Für die kleine Chirurgie fanden wir im Luftwaffenlazarett eigentlich alle Instrumente. Spritzen, Sterilisatoren und Verbandsmaterial, auch Inventar, Verbandstische, Stühle, Untersuchungsliegen. Laborgeräte und -material sowie große Mengen Medikamente wie Herzmittel, Cardiazol, Globocid und Albucid wurden mitgenommen.

Die Desinfektion

Als erste Patienten wurden zahlreiche Infektionskranke (Ruhr, Typhus, Tbc) eingeliefert. Viele befanden sich seit Wochen auf der Flucht, waren in sehr schlechtem Gesundheitszustand. Sie waren ohne eigene Schuld völlig verschmutzt und folglich mit Ungeziefer wie Läusen, Flöhen und Wanzen behaftet.
Somit war zu allererst eine Desinfektionseinrichtung zwingend notwendig. Mit Herrn Alwin Bock und seiner Frau fanden sich ausgebildete Desinfektoren. Schnell wurde eine Waschküche ausgebaut und mit den schärfsten Mitteln, z.B. DDT oder ähnliches gearbeitet - diese würden heute schlichtweg als Horror angesehen und verboten sein. Aber mit Heißdampf und kochendem Wasser haben Herr Bock und Frau den Parasiten schnell den Garaus gemacht.

Bewirtschaftung

Für die Ernährung der Patienten wurden Lebensmittel aus dem damaligen Magazin IV, Stolper Str. Ecke Florastr. ehem. Wolfert, später Kuckuck, Brot und Brötchen von der Bäckerei Müller in der Stolper Str. geholt.
Herr Otto Wetzel karrte die Lebensmittel anfangs mit einem 2-rädrigen Fahrradanhänger, später 1946/47 mit einem F8 Kombi heran.

Die Behandlung der Patienten

Die erforderlichen Medikamente, soweit überhaupt vorhanden, wurden aus den umliegenden Apotheken bezogen bzw. mussten von den Apotheken zur Verfügung gestellt werden.
Ein Beispiel zu den damaligen Beschaffungsschwierigkeiten von Medikamenten schildert Herr Griep:
Neosalvarsan, ein Medikament gegen Geschlechtskrankheiten, war aufgebraucht. In einer Apotheke in Berlin-Schöneiche war das dringend benötigte Medikament vorrätig. So machte er sich mit dem Fahrrad auf den Weg. Zur Legitimation hatte er eine in russischer Sprache abgefasste Bescheinigung (das sog. Dokument) und an beiden Armen je eine Rotkreuz-Armbinde. Nach vielen Stunden kam er glücklich mit 2 Rucksäcken voller Schachteln mit den dringend erwarteten Ampullen wieder in Hohen Neuendorf an.
Man wusste sich zu helfen, wenn Medikamente fehlten. Zur Behandlung der Ruhr wurde Holzkohle zerstoßen und den Patienten in Breiform zum Stopfen verabreicht. Stunden- mitunter tagelang kämpften Ärzte und Pflegepersonal mit kalten Ganzkörperwickeln um das Leben typhuskranker Kinder, die bis zu 42° fieberten.

Es gab sehr tragische Fälle:

„ Ein junger Mann, Heinz Grabosch hieß er, wohnte in der Remanéstr., wurde mit hohem Fieber und Atembeschwerden eingeliefert. Die Diagnose lautete: Poliomyelitis (Kinderlähmung). Fast anderthalb Tage versuchten, sich gegenseitig abwechselnd, die Krankenpfleger, mit Atem und Wiederbelebungsübungen zu helfen. Eine damals bekannte „Eiserne Lunge“ war nicht vorhanden. Während unserer Übungen ist er für immer eingeschlafen. Er war so alt wie ich.“ (Helmut Griep)

Ein anderer Fall:

„Manfred Kiske hieß ein 3-jähriger. Manfred hatte Schierling gegessen, er glaubte es sei Rhabarber. Die Mutti wusste, dass der Vati, der seinen Sohn noch nie gesehen hatte in der nächsten Zeit aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wird. Er kam ein paar Tage zu spät, wir haben es nicht geschafft, dem kleinen Jungen das Leben zu retten. Das Schlimmste von allem war, tote Kinder in den Keller zu tragen.“
Bedingt durch den Hunger waren Pilzvergiftungen an der Tagesordnung. Im Sommer 1945 bis zum Herbst sammelten die Menschen Pilze. Viele kannten nicht den Knollenblätterpilz, der mit dem Wiesenchampignon verwechselt wurde. Ca. 6 Stunden nach dem Verzehr der Pilzmahlzeit wurden die ersten Vergiftungsfälle ins Krankenhaus gebracht und folgendermaßen behandelt: Salzwasser wurde durch die Magensonde eingeführt um Erbrechen zu erreichen.
An einem Abend bis zur Nacht wurden 27 Pilzvergiftungsfälle eingeliefert. Die Flure lagen voller stöhnender, erbrechender, schreiender Patienten dazwischen hilflose Angehörige. Albucin und Lilobucin wurden injiziert, sogar die Hilfskrankenpfleger mussten mit ran und durften Spritzen verabreichen. Wie stolz waren sie, dass von den 27 Patienten 25 gerettet wurden.

Der Leichenkeller

Der Leichenkeller war ein ganz normaler Keller, ohne jegliche Einrichtung, ohne Kühlung. Die Leichen wurden auf den Boden gelegt, oft dicht neben einander. Sie waren in Laken gehüllt, die immer wieder verwendet wurden. Viele Tote gingen in Verwesung über, bevor sie entsorgt werden konnten. Wer bezahlt die Bestattung? Schließlich musste das Sozialamt die Kosten der Beerdigung übernehmen.
Ein Sarg, einfach aus sauberen Brettern mit einer am Sargboden versehenen Mechanik gefertigt, diente zur Beerdigung. Mit einer Zugvorrichtung öffnete sich der Boden, die Leiche fiel in die Grube und der Sarg war für die nächste Beerdigung wiederverwendbar.

Die Chirurgie

Durch Unterernährung, nichtverschuldeter Unsauberkeit, fehlender Hygiene dominierten Hauterkrankungen: Furunkulose, Karbunkel, Phlegmone, Impetigo - viele Kinder litten darunter - heute würde man es wohl als eiternden Hautausschlag bezeichnen.
Zur Behandlung wurde als erstes eine chirurgische Sprechstunde eröffnet. Als Chirurg arbeitete Dr. Mertens. Oft gab es Stromsperre, dann musste unter der Petroleumlampe operiert werden. Dazu erinnert sich Helmut Griep: „Mein Sohn Rainer ist am 14.12.1949 im Schein von vielen Stearinkerzen während einer Stromsperre im Krankenhaus Hohen Neuendorf zur Welt gekommen.“
Steril zu operieren war schwer. Die Instrumente konnten nur gekocht werden. Die Tupfer wurden von Schwestern und Pfleger beim Nachtdienst selbst gedreht. Das Verbandsmaterial war sehr knapp. So mussten die Binden wieder verwandt werden, nachdem sie ausgekocht waren. Über Mullbinden wurden mitunter Papierbinden gewickelt.
Bei schweren Erkrankungen wie Appendix, Galle, Magen, erfolgte Überweisung ins Dominikusstift Hermsdorf oder in das Krankenhaus Oranienburg.

Das Labor, Diagnosefindung

Ein Krankenhaus ohne Labor ist undenkbar. Untersuchungen von Blut, Stuhl, Urin, Sputum sind notwendig, also musste ein Labor eingerichtet werden. Frau Schlickeiser war es, die dieses Labor aus dem Nichts entstehen ließ, Wolfgang Bock war ihr Laborgehilfe. Und auch hier musste das Frohnauer Luftwaffenlazarett herhalten. Mikroskope, Laborgeräte, Sterilisatoren, Reagenzien kurz, vieles was im Labor benötigt wird, fanden die beiden. Der damalige Kreisarzt Dr. Fox besorgte aus Apotheken die in den schweren Nachkriegsjahren so wichtigen Reagenzien wie Methylenblau und andere. Sie waren für die wichtigen Untersuchungen bei Tbc und GO (Gonorrhoe) und Lues (Geschlechtskrankheiten) wichtig.
Frau Dr. Wittfoth, Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten, führte mit Frau Schlickeiser ab August 1945 über Monate hinweg Reihenuntersuchungen durch. Ihnen war es zu verdanken, dass diesen Krankheiten Einhalt geboten wurde.
Abstriche von GO und Lues und Untersuchungen von Tbc Sputum waren hoch infektiös. Dafür bekamen die Laborfachkräfte die Lebensmittelkarte für Schwerarbeiter und Butter statt Margarinezuteilung.

Geschichtskreis Hohen Neuendorf
Helmut Griep / Elisabeth Schlickeiser